Dienstag, 22. September 2009

Geschichten ohne Igel #2

Von Dingen, die nicht offensichtlich sind

Berlin ist eine Stadt voller Möglichkeiten. Das hörst du so oft, das du diese Schreckliche Platitüde glaubst. Zumindest solange du jung bist, dich "irgendwie anders" fühlst (und mal ehrlich - wer von uns tut das nicht?) und vorallem noch nie dort gelebt hast.
Überall siehst du Berichte, liest Artikel über junge, attraktive Mittzwanziger, die mit großen Plänen und viel Fanatsie in diese Stadt gekommen sind. Irgendwo aus der Provinz in den Großstadthimmel. Hier wo alles vor kreativität sprüht, jeder Ideen hat, diese umsetzen kann und damkit auch noch erfolg hat.
Also nimmst auch du deine großen Pläne und ziehst voller Tatendrang in die große Welt. Kaum angekommen triffst du auf Unmengen neuer Leute. Neue Leute, mit interessanten Berufen und Ideen. Unheimlich vielen Ideen und unheimlich viel zu erzählen.
Das machen sie auch wenn du dich mit ihnen Abends in Bars triffst. Dort hörst du dir ihre Erlebnisse an. Wie ihr Leben wundervoll geworden ist seit sie in der Stadt sind. Natürlich kann sich keiner mehr vorstellen irgendwo anders zu wohnen. Alles ist fantastisch. Der Job ist manchmal etwas stressig aber "Hey - das ist eben so". Ist trotzdem ein guter Job, der beste, den man jemals hatte. Und die Kollegen sind so toll.
Das alles dreht sich in deinem Kopf wenn du wieder zurück in deiner Wohnung bist, eine Pizza gegessen hast (wahnsinn - man bekommt hier noch nach 1 uhr etwas zu essen) und allein in deinem Ikea Bett liegst. Inmitten von schlaflosen Nächten zerwühlter Kissen.
Schlaflos weil dein Leben nicht spannend ist. Weil sich keiner deiner Pläne so wirklich erfüllt oder, wenn doch, als nicht ganz so fantastisch erwiesen hat.
"Was habe ich nur übersehen", fragst du dich laufen während du irgendwas machst nur um Zeit zu füllen. Warum kann dein Alltag nicht von so viel Sinn und Arbeit und Produktivität erfüllt sein? Dabei machst du dir doch über nichts anderes Gedanken als den Sinn.
Da sitzt du nun also. Kannst nicht vor und nicht zurück. Kein Sinn, keine Beschäftigung, keine Pläne, kein Geld. Dazu ständig die Angst, dass das für immer so bleiben wird.
Bis du irgendwann, nach noch mehr Abenden in mit Sperrmüll möblierten Bars, merkst auch die Anderen haben keine Ahnung was sie machen sollen. Sie haben nur einen Weg gefunden sich selbst erfolgreich zu belügen.
Deswegen verbringen sie Stunden in Büros und Agenturen, die aussehen wie das Deck eines Kreuzfahrtschiffes. Mit Liegstühlen und Kühlschrank. (Was soll man auch daheim? Da gibt es nur Mikrowellenessen und Stille).
Die Kollegen sind nett weil wirkliche Freunde kennenlernen ist anstrengend.
Deswegen reisen sie in fremde Länder um dort wilde Partys zu feiern, exotischen Sex zu haben. Exotische Geschlechtskrankheiten zu bekommen.
Dazu jede Sekunde E-Mails checken, auf Seiten Leute angucken, die weit weg leben. Gott sei dank.
Und alles nur damit die zähen Minuten etwas schneller zu Stunden werden. Damit die Nacht schneller kommt. Damit man sich einreden kann, die hohle Zeit mit etwas Sinnvollem gefüllt zu haben.
Ein wohlverdienter Schlaf, der sich nur so gut anfühlt weil man endlich aufhören kann sich selbst zu belügen. Endlich aufhören sich daran festzuklammer etwas besonderes zu sein. Und die Angst weg ist. Angst um die Tatsache, das alles was man tut - jede kleinste Bewegung - unbedeutend und man selbst absolut austauschbar ist.

Donnerstag, 27. August 2009


"reise, reise"
("sick in the head" - shot #3)

Geschichten ohne Igel #1

Mixtapekiller

Bin ich heute Abend schlagartig erwachsen geworden? Oder fühle ich zum ersten Mal wie es ist erwachsen zu sein?
Ich meine nicht erwachsen im sinne von "Verantwortung haben", "auf sich allein gestellt sein", "eine vernünftige Entscheidung treffen". Diese Dinge basieren lediglich auf der Fähigkeit rational handeln zu können. Und dazu sind auch viele nicht in der lage, die vor dem Gesetz als erwachsen gelten.
Mir geht es viel mehr um die Tatsache, ein bestimmtes Lebensgefühl nicht mehr zu haben. Einen gewissen Antrieb tief in sich nicht mehr spüren zu können oder ihn gar verloren zu haben.
Aufgrund eines Gesprächs über Platten und andere gemeinhin als antiquiert geltenden Medien zur Speicherung von Musik, das ich heute nachmittag mit meiner Mitbewohnerin hatte, habe ich meine Mixtape-Kiste rausgekramt. Ein mittelgroßer Karton voll mit bespielbaren Kassetten. Manche davon habe ich als Geschenk von lieben Menschen erhalten und Andere, den Großteil, habe ich mir selbst geschenkt. Aufgenommen irgendwann zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr. Kleine 90-Minüter zu verschiedenen Themen und Gefühlslagen. "Erste Sonnenstrahlen", "Kisser Killer", "Bathtube" waren genauso Titel wie Namen von Männern (oder waren es damals noch Jungs?), die sich in meinen Kopf gegraben hatten. Unabhängig davon ob ich auch in den ihrigen gekommen bin.
Jedenfalls überkam mich ein sehr seltsames Gefühl während ich den Liedern lauschte. Es taten sich reelle Bilder von einer reellen Zeit auf. Mit Gefühlen und Menschen drin. Und vorallem mir selbst.
Auf geradezu gespenstische Art und Weise schaffen es die Songs in Auswahl und Zusammenstellung Vergangenes lebendig werden zu lassen. Lebenssituationen, die gefühlte hundert Jahre her sind weil sie in einen ganz anderen Lebensabschnitt gehören. Oder womöglich zu einem ganz anderen Menschen? Nein - denn sonst würde ich nicht auf dem Boden liegen, gefesselt von der Spannung welches Lied wohl als nächstes kommt. Auf dass sich das Bild komplett zusammenfügt. Bilder von Dingen, die ich damals nie für möglich gehalten hätte. Unmögliches, das mich zum träumen animiert hat. Scheinbare Ausweglosigkeit, die mich wütend gemacht hat. Antreibende Wut. Bilder mit Überzeugungen und Ideologien. So wahnwitzig sie auch gewesen sind. Naive Vorstellungen von Zukunft. Bilder mit großer Leichtigkeit wie auch extremer Schwere. Menschen, die mich begeistert haben. Menschen, die mich am Boden zerschmettert haben. Manchmal waren es die selben.

Wenn ich all das noch weiß warum kommt es mir dann doch irgendwie fremd vor? Ist es wirklich so, dass man nur zu einer bestimmten Zeit im Leben so fühlen kann? Ist irgendwann alles erlebt, nichts mehr neu, nur ein lauer Aufguss?
Klar, manche Träume haben sich erfüllt. Viele wesentliche sogar. Aber das sollte einem doch nicht den Antrieb nehmen.
Dinge, die mich über alle maßen begeistern, mich komplett in ihren bann ziehen sind selten geworden. Ich verschreibe mich einer Sache nicht mehr mit Herzblut.
Schon allein die Zeit dafür fehlt weil man Aufgaben erledigen muss, damit man nachher nicht auf der Straße steht. Ein feiges Mittelmaß wird gelebt. Eine "erwachsene" Entscheidung. Nächte werden zwar noch durchgefeiert aber immer mit schlechtem Gewissen weil man am nächsten Tag noch was erledigen sollte. Bücher kommen viel zu kurz weil es Fachliteratur gibt. Ausprobieren kann man kaum noch weil es Abgabefristen gibt. Das alles lähmt.
Fühlt sich so "erwachsen" an? Tatsächlich einen unterschied zwischen der "Jugend" und dem "Jetzt" zu sehen. Und das Ganze mit einer gewissen Melancholie und dem Gefühl etwas verloren zu haben.
Vielleicht ist das Ganze aber auch ein normaler Prozess und in fünf Jahren werde ich auf diesen Text blicken und genau das selbe denken.