Donnerstag, 13. Januar 2011

Geschichten ohne Igel # 3:

Von Dingen, die man eigentlich nie machen wollte

Eigentlich wollte ich das ja nie machen“, höre ich immer wieder. Irgendwie wollte jeder nie das machen, was er macht. „Ich bin da so reingerutscht“, wird häufig gesagt. Und gleich häufig wie irgendjemand in irgendwas „reingerutscht“ ist, sagen sie auch, sie werden das noch ein oder zwei Jahre machen – dann mal schauen.

Die meisten glauben das sogar.

Aber man gerät in Nichts einfach so. In einen Tsunami vielleicht. Aber nicht in ein Leben, mit dem man eigentlich unzufrieden ist. Das beruht auf Entscheidungen. Welcher Art auch immer. Entscheidungen zugunsten der Bequemlichkeit, des Versorgen-können eines Dritten oder weil einem einfach nichts besseres eingefallen ist. Alles in Ordnung.

Doch soll man dann zugeben,dass es das ist was man will. Eine Beschäftigung, die einen nur mäßig bis gar nicht interessiert, viel Freizeit frisst und voll ist von Leuten, die jeden Tag etwas von einem wollen, einen anschreien, Gespräche über falsche Nägel aufdrängen und den ganzen Tag der Wunsch nach Feierabend. Abends dann müde Essen, müde ins Bett und am nächsten Morgen müde aufstehen.

Dafür kein Kampf mehr. Keine Gedanken über die nächste Miete, den Urlaub, kein leerer Kühlschrank, eine warme Wohnung.

Vorbei das nächtliche Rumstehen in feuchten Bars, dabei mit Fremden eine Berechtigung des Daseins konstruieren. Man ist produktiver Teil von Allem, vernünftig, mit Aufgabe und akzeptiert, bei den Kollegen beliebt – ja, die sind ganz nett – abends vielleicht ein müdes Bier mit denen.

Man ist im Team.

Die Einen waren es schon immer, die Anderen jetzt. Es war vielleicht nie das Ziel, doch hat man nach Jahren auf der Bank erst mal einen kleinen Einblick erhalten wie es ist nicht als Letzter, mit einem Augenrollen von allen anderen, irgendwem oder irgendetwas zugewiesen zu werden, gehen die meisten weiter in diese Richtung.

Das ist, wie bereits erwähnt, eine absolut nachvollziehbare Entscheidung. Aber sie soll auch als eine betrachtet werden!

Doch aus Scham vor dem früheren Selbst, das die im Team verachtete wird weiter so getan als hätte man an allem kein Interesse. Es passiert alles nebenbei, man findet alles irgendwie lächerlich aber es macht sich gut im Lebenslauf und man lernt und „angekommen bin ich sowieso noch lange nicht“. Aber innen drin ganz groß den Gedanken irgendwann der sein zu können, der auswählt.

Man kann entweder mitgehen oder es lassen. Beides ist eine Entscheidung, eine Haltung.

Es wird immer die geben, die ins Team gewählt werden und die, die auf der Bank bleiben. Von den Sitzenden bemühen sich einige, wenn auch insgeheim, irgendwann dabei zu sein. Der Rest bleibt ganz bewusst sitzen.

Das eine bringt die Gefahr plötzlich in der Ubahn Feuerzeuge verkaufen zu müssen oder Zahnhygiene mit einer Flasche Pfefferminzschnaps zu betreiben. Das andere die, unbemerkt in ein Leben zu rutschen, in dem man niemals sein wollte und das sich nicht mehr aufhalten lässt.

Donnerstag, 18. März 2010

Der Tag an dem ich sterben wollte

Der Tag an dem ich sterben wollte, war ein Tag wie jeder andere. Ich wurde wie immer durch das Zuschlagen einer Tür geweckt. Das langweilige Grau eines noch immer verschneiten Stadtwintertages lag vor dem Fenster und zeigte die Welt unverklärt in ihrem Realzustand. Ich schaute aus dem Fenster und sah das Haus auf der anderen Straßenseite. Es stand da wie jeden Tag. Hatte sich nicht verändert. So wie sich alles nicht verändert hatte. Und auf ein mal wurde ich von einer unheimlichen Langeweile ergriffen. Sie ließ mir die Glieder auf eine angenehme weise schlaff werden. Warm wie in einem heißen Schaumbad. Ich erkannte, dass sich nie etwas ändern würde. Schon jetzt konnte ich jeden Tag, jede Minute meines Lebens sehen. Immer morgens an diesem Fenster, oder einem anderen, mit einer Tasse in der Hand. Der große Knall kommt nicht. Keine Wunder in Sicht. Nur 365 tage gefüllt mit dem blick auf das Haus gegenüber. Ich musste ein wenig kichern als ich darüber nachdachte. Und ich beschloss an diesem Tag zu sterben.

Am Tag an dem ich sterben wollte, verließ ich das Haus zu einer Zeit, zu der ich es immer verlasse. Ich lief vorbei am Haus gegenüber die Straßen der Stadt entlang. Ich klopfte an Türen doch keiner öffnete. Keiner war zu hause um zu lesen oder sich mit lieben Menschen zu umgeben, zu frühstücken oder Musik zu hören. Alle machten gerade Karriere.
Dazu hatten sie sich heute, wie jeden Tag, zu einer aberwitzigen Zeit aus dem Bett geschoben, sich unbequem angezogen. Jetzt sitzen sie in Universitäten, Loft-Büros, Banken, Arztpraxen. Und keiner weiß wirklich warum. Aber immer dabei die Angst. Die Angst vergessen zu werden, unwichtig zu sein wenn man nicht aufsteht und den gewohnten Weg zur Arbeit nimmt.


Der Rest war auf der Straße weil sie es zu hause nicht mehr ausgehalten hatten. Aus zu kalten Altbauwohnungen gepurzelt, den Körper in Klamotten gehüllt, die nicht wie welche aussehen. Zu eng, zu weit, zu kratzig, in keinem Fall bequem.

So huschen sie durch die breiten Straßen auf der Suche nach einem Grund nicht stillstehen zu müssen. Kaufen noch mehr unbequeme Kleidung, Esstische, Beistelltische, Nachttische, Kindermode, Biofleisch, Biogemüse, Biogleitgel.

Alles in der Hoffnung es möge sich doch endlich dieses Gefühl von Richtigkeit und erwachsen-sein einstellen.


Am Tag an dem ich sterben wollte, beschloss ich nicht mehr an meinem leben teilzuhaben. Nicht den sonst so streng organisierten Alltag einzuhalten. Mit Regeln und Terminen, um ja keine unbeschäftigte Minute zu haben. Selbst die Freizeit straff organisiert. Verabredungen, Kultur, Gartenarbeit, Sport. Denn wer nichts zu tun hat, ist unstrebsam, erfolglos, hässlich. Womöglich verschwindet man wenn man nichts mehr tut. Ein Zustand so nah am Tod, dass selbiger ganz unerwartet eintritt.
Ich starb nicht.

Am Tag an dem ich sterben wollte, setzte ich mich ans Ufer um über den schönsten Abschied aus dieser Welt nachzudenken.
Da stupste mich etwas in die Seite. Ein kleiner Igel saß neben mir. Ich wollte mich schon aufregen über diesen unangebrachten Körperkontakt als der Igel seine Kopf schüttelte. „Ihr Menschen seit schon komisch. Macht euch so viele Umstände in eurem Leben. Alles aus Angst unbedeutend zu sein. Aber wisst ihr was? - Ihr seid es. Kein bisschen wichtiger als ich Igel. Nur erwarte ich auch nichts anderes. Ich werde geboren, möchte mich mit einer hübschen Igelin vermehren, im Winter lange in einem schönen Laubhaufen schlafen und erfreue mich an einer dicken Nacktschnecke. Am Ende sterbe ich wie Milliarden Igel vor mir. Das ist gut so. Für etwas anderes ist kein Organismus auf dieser Welt gedacht. Seid doch damit zufrieden. Da braucht es keine Angst etwas zu verpassen, Hast nach etwas größerem, Neid weil man nichts größeres erreicht hat. Sicher wird sich ein Tag wenig vom nächsten unterscheiden. Na und? Sind deine Tage denn so schlecht? Nur deswegen musst du nicht heute aus dieser Welt verschwinden. Das passiert schon noch früh genug.“

Noch bevor ich etwas erwidern konnte nahm der Igel seinen Hut und ging.


Am Abend des Tages an dem ich sterben wollte ging ich zurück in meine Wohnung. Vorbei an dem Haus, das noch war wie am Morgen. Wie an jedem Morgen.
Ich stellte mich ans Fenster und beschloss heute nicht zu sterben. Weitermachen. Wie man an jedem Tag aus irgendeinem Grund doch weitermacht.
Wegen Sonntagen mit asiatischem Essen, Schallplatten, ausgedehnten Frühstücken, jemand, der nachts seinen Arm um dich legt.

Oder einem Haus, von dem man weiß, es wird immer da sein.

Freitag, 29. Januar 2010








"suits you well"






"Leaky Lifeboat"

Dienstag, 22. September 2009

Geschichten ohne Igel #2

Von Dingen, die nicht offensichtlich sind

Berlin ist eine Stadt voller Möglichkeiten. Das hörst du so oft, das du diese Schreckliche Platitüde glaubst. Zumindest solange du jung bist, dich "irgendwie anders" fühlst (und mal ehrlich - wer von uns tut das nicht?) und vorallem noch nie dort gelebt hast.
Überall siehst du Berichte, liest Artikel über junge, attraktive Mittzwanziger, die mit großen Plänen und viel Fanatsie in diese Stadt gekommen sind. Irgendwo aus der Provinz in den Großstadthimmel. Hier wo alles vor kreativität sprüht, jeder Ideen hat, diese umsetzen kann und damkit auch noch erfolg hat.
Also nimmst auch du deine großen Pläne und ziehst voller Tatendrang in die große Welt. Kaum angekommen triffst du auf Unmengen neuer Leute. Neue Leute, mit interessanten Berufen und Ideen. Unheimlich vielen Ideen und unheimlich viel zu erzählen.
Das machen sie auch wenn du dich mit ihnen Abends in Bars triffst. Dort hörst du dir ihre Erlebnisse an. Wie ihr Leben wundervoll geworden ist seit sie in der Stadt sind. Natürlich kann sich keiner mehr vorstellen irgendwo anders zu wohnen. Alles ist fantastisch. Der Job ist manchmal etwas stressig aber "Hey - das ist eben so". Ist trotzdem ein guter Job, der beste, den man jemals hatte. Und die Kollegen sind so toll.
Das alles dreht sich in deinem Kopf wenn du wieder zurück in deiner Wohnung bist, eine Pizza gegessen hast (wahnsinn - man bekommt hier noch nach 1 uhr etwas zu essen) und allein in deinem Ikea Bett liegst. Inmitten von schlaflosen Nächten zerwühlter Kissen.
Schlaflos weil dein Leben nicht spannend ist. Weil sich keiner deiner Pläne so wirklich erfüllt oder, wenn doch, als nicht ganz so fantastisch erwiesen hat.
"Was habe ich nur übersehen", fragst du dich laufen während du irgendwas machst nur um Zeit zu füllen. Warum kann dein Alltag nicht von so viel Sinn und Arbeit und Produktivität erfüllt sein? Dabei machst du dir doch über nichts anderes Gedanken als den Sinn.
Da sitzt du nun also. Kannst nicht vor und nicht zurück. Kein Sinn, keine Beschäftigung, keine Pläne, kein Geld. Dazu ständig die Angst, dass das für immer so bleiben wird.
Bis du irgendwann, nach noch mehr Abenden in mit Sperrmüll möblierten Bars, merkst auch die Anderen haben keine Ahnung was sie machen sollen. Sie haben nur einen Weg gefunden sich selbst erfolgreich zu belügen.
Deswegen verbringen sie Stunden in Büros und Agenturen, die aussehen wie das Deck eines Kreuzfahrtschiffes. Mit Liegstühlen und Kühlschrank. (Was soll man auch daheim? Da gibt es nur Mikrowellenessen und Stille).
Die Kollegen sind nett weil wirkliche Freunde kennenlernen ist anstrengend.
Deswegen reisen sie in fremde Länder um dort wilde Partys zu feiern, exotischen Sex zu haben. Exotische Geschlechtskrankheiten zu bekommen.
Dazu jede Sekunde E-Mails checken, auf Seiten Leute angucken, die weit weg leben. Gott sei dank.
Und alles nur damit die zähen Minuten etwas schneller zu Stunden werden. Damit die Nacht schneller kommt. Damit man sich einreden kann, die hohle Zeit mit etwas Sinnvollem gefüllt zu haben.
Ein wohlverdienter Schlaf, der sich nur so gut anfühlt weil man endlich aufhören kann sich selbst zu belügen. Endlich aufhören sich daran festzuklammer etwas besonderes zu sein. Und die Angst weg ist. Angst um die Tatsache, das alles was man tut - jede kleinste Bewegung - unbedeutend und man selbst absolut austauschbar ist.

Donnerstag, 27. August 2009


"reise, reise"
("sick in the head" - shot #3)

Geschichten ohne Igel #1

Mixtapekiller

Bin ich heute Abend schlagartig erwachsen geworden? Oder fühle ich zum ersten Mal wie es ist erwachsen zu sein?
Ich meine nicht erwachsen im sinne von "Verantwortung haben", "auf sich allein gestellt sein", "eine vernünftige Entscheidung treffen". Diese Dinge basieren lediglich auf der Fähigkeit rational handeln zu können. Und dazu sind auch viele nicht in der lage, die vor dem Gesetz als erwachsen gelten.
Mir geht es viel mehr um die Tatsache, ein bestimmtes Lebensgefühl nicht mehr zu haben. Einen gewissen Antrieb tief in sich nicht mehr spüren zu können oder ihn gar verloren zu haben.
Aufgrund eines Gesprächs über Platten und andere gemeinhin als antiquiert geltenden Medien zur Speicherung von Musik, das ich heute nachmittag mit meiner Mitbewohnerin hatte, habe ich meine Mixtape-Kiste rausgekramt. Ein mittelgroßer Karton voll mit bespielbaren Kassetten. Manche davon habe ich als Geschenk von lieben Menschen erhalten und Andere, den Großteil, habe ich mir selbst geschenkt. Aufgenommen irgendwann zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr. Kleine 90-Minüter zu verschiedenen Themen und Gefühlslagen. "Erste Sonnenstrahlen", "Kisser Killer", "Bathtube" waren genauso Titel wie Namen von Männern (oder waren es damals noch Jungs?), die sich in meinen Kopf gegraben hatten. Unabhängig davon ob ich auch in den ihrigen gekommen bin.
Jedenfalls überkam mich ein sehr seltsames Gefühl während ich den Liedern lauschte. Es taten sich reelle Bilder von einer reellen Zeit auf. Mit Gefühlen und Menschen drin. Und vorallem mir selbst.
Auf geradezu gespenstische Art und Weise schaffen es die Songs in Auswahl und Zusammenstellung Vergangenes lebendig werden zu lassen. Lebenssituationen, die gefühlte hundert Jahre her sind weil sie in einen ganz anderen Lebensabschnitt gehören. Oder womöglich zu einem ganz anderen Menschen? Nein - denn sonst würde ich nicht auf dem Boden liegen, gefesselt von der Spannung welches Lied wohl als nächstes kommt. Auf dass sich das Bild komplett zusammenfügt. Bilder von Dingen, die ich damals nie für möglich gehalten hätte. Unmögliches, das mich zum träumen animiert hat. Scheinbare Ausweglosigkeit, die mich wütend gemacht hat. Antreibende Wut. Bilder mit Überzeugungen und Ideologien. So wahnwitzig sie auch gewesen sind. Naive Vorstellungen von Zukunft. Bilder mit großer Leichtigkeit wie auch extremer Schwere. Menschen, die mich begeistert haben. Menschen, die mich am Boden zerschmettert haben. Manchmal waren es die selben.

Wenn ich all das noch weiß warum kommt es mir dann doch irgendwie fremd vor? Ist es wirklich so, dass man nur zu einer bestimmten Zeit im Leben so fühlen kann? Ist irgendwann alles erlebt, nichts mehr neu, nur ein lauer Aufguss?
Klar, manche Träume haben sich erfüllt. Viele wesentliche sogar. Aber das sollte einem doch nicht den Antrieb nehmen.
Dinge, die mich über alle maßen begeistern, mich komplett in ihren bann ziehen sind selten geworden. Ich verschreibe mich einer Sache nicht mehr mit Herzblut.
Schon allein die Zeit dafür fehlt weil man Aufgaben erledigen muss, damit man nachher nicht auf der Straße steht. Ein feiges Mittelmaß wird gelebt. Eine "erwachsene" Entscheidung. Nächte werden zwar noch durchgefeiert aber immer mit schlechtem Gewissen weil man am nächsten Tag noch was erledigen sollte. Bücher kommen viel zu kurz weil es Fachliteratur gibt. Ausprobieren kann man kaum noch weil es Abgabefristen gibt. Das alles lähmt.
Fühlt sich so "erwachsen" an? Tatsächlich einen unterschied zwischen der "Jugend" und dem "Jetzt" zu sehen. Und das Ganze mit einer gewissen Melancholie und dem Gefühl etwas verloren zu haben.
Vielleicht ist das Ganze aber auch ein normaler Prozess und in fünf Jahren werde ich auf diesen Text blicken und genau das selbe denken.