Donnerstag, 27. August 2009


"reise, reise"
("sick in the head" - shot #3)

Geschichten ohne Igel #1

Mixtapekiller

Bin ich heute Abend schlagartig erwachsen geworden? Oder fühle ich zum ersten Mal wie es ist erwachsen zu sein?
Ich meine nicht erwachsen im sinne von "Verantwortung haben", "auf sich allein gestellt sein", "eine vernünftige Entscheidung treffen". Diese Dinge basieren lediglich auf der Fähigkeit rational handeln zu können. Und dazu sind auch viele nicht in der lage, die vor dem Gesetz als erwachsen gelten.
Mir geht es viel mehr um die Tatsache, ein bestimmtes Lebensgefühl nicht mehr zu haben. Einen gewissen Antrieb tief in sich nicht mehr spüren zu können oder ihn gar verloren zu haben.
Aufgrund eines Gesprächs über Platten und andere gemeinhin als antiquiert geltenden Medien zur Speicherung von Musik, das ich heute nachmittag mit meiner Mitbewohnerin hatte, habe ich meine Mixtape-Kiste rausgekramt. Ein mittelgroßer Karton voll mit bespielbaren Kassetten. Manche davon habe ich als Geschenk von lieben Menschen erhalten und Andere, den Großteil, habe ich mir selbst geschenkt. Aufgenommen irgendwann zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr. Kleine 90-Minüter zu verschiedenen Themen und Gefühlslagen. "Erste Sonnenstrahlen", "Kisser Killer", "Bathtube" waren genauso Titel wie Namen von Männern (oder waren es damals noch Jungs?), die sich in meinen Kopf gegraben hatten. Unabhängig davon ob ich auch in den ihrigen gekommen bin.
Jedenfalls überkam mich ein sehr seltsames Gefühl während ich den Liedern lauschte. Es taten sich reelle Bilder von einer reellen Zeit auf. Mit Gefühlen und Menschen drin. Und vorallem mir selbst.
Auf geradezu gespenstische Art und Weise schaffen es die Songs in Auswahl und Zusammenstellung Vergangenes lebendig werden zu lassen. Lebenssituationen, die gefühlte hundert Jahre her sind weil sie in einen ganz anderen Lebensabschnitt gehören. Oder womöglich zu einem ganz anderen Menschen? Nein - denn sonst würde ich nicht auf dem Boden liegen, gefesselt von der Spannung welches Lied wohl als nächstes kommt. Auf dass sich das Bild komplett zusammenfügt. Bilder von Dingen, die ich damals nie für möglich gehalten hätte. Unmögliches, das mich zum träumen animiert hat. Scheinbare Ausweglosigkeit, die mich wütend gemacht hat. Antreibende Wut. Bilder mit Überzeugungen und Ideologien. So wahnwitzig sie auch gewesen sind. Naive Vorstellungen von Zukunft. Bilder mit großer Leichtigkeit wie auch extremer Schwere. Menschen, die mich begeistert haben. Menschen, die mich am Boden zerschmettert haben. Manchmal waren es die selben.

Wenn ich all das noch weiß warum kommt es mir dann doch irgendwie fremd vor? Ist es wirklich so, dass man nur zu einer bestimmten Zeit im Leben so fühlen kann? Ist irgendwann alles erlebt, nichts mehr neu, nur ein lauer Aufguss?
Klar, manche Träume haben sich erfüllt. Viele wesentliche sogar. Aber das sollte einem doch nicht den Antrieb nehmen.
Dinge, die mich über alle maßen begeistern, mich komplett in ihren bann ziehen sind selten geworden. Ich verschreibe mich einer Sache nicht mehr mit Herzblut.
Schon allein die Zeit dafür fehlt weil man Aufgaben erledigen muss, damit man nachher nicht auf der Straße steht. Ein feiges Mittelmaß wird gelebt. Eine "erwachsene" Entscheidung. Nächte werden zwar noch durchgefeiert aber immer mit schlechtem Gewissen weil man am nächsten Tag noch was erledigen sollte. Bücher kommen viel zu kurz weil es Fachliteratur gibt. Ausprobieren kann man kaum noch weil es Abgabefristen gibt. Das alles lähmt.
Fühlt sich so "erwachsen" an? Tatsächlich einen unterschied zwischen der "Jugend" und dem "Jetzt" zu sehen. Und das Ganze mit einer gewissen Melancholie und dem Gefühl etwas verloren zu haben.
Vielleicht ist das Ganze aber auch ein normaler Prozess und in fünf Jahren werde ich auf diesen Text blicken und genau das selbe denken.