Freitag, 26. September 2008

Über Platz

Vor nicht allzu langer Zeit wollten der Igel und ich unser altes Leben verlassen.
Weg von allem was uns einengt. Speziell Igel war nie genug Platz. "Überall nur Spießer, Langweiler, und Faschisten", schimpfte er immer.
Und ich konnte ihm nur beipflichten. Schließlich verbrachte auch ich Abende mit diesem Gefühl, das einen nicht still sitzen lässt. Das einen fünf mal zum Kühlschrank treibt und dazu bringt Hamster zu rasieren. Nur weil man nicht weiß was mit sich anzufangen. Aber überzeugt ist, das wäre Anderswo nicht der Fall. An einem Ort mit mehr Möglichkeiten. Bzw. den Möglichkeiten, die man möchte. "Möchtlichkeiten", nannte das Igel.
Das Gefühl steigert sich irgendwann ins unermessliche. Da hilft es nicht mehr in die Nachbarstadt zu schauen. Alles zu klein. Große Ziele werden angestrebt, die sicher zu großer Veränderung führen werden. Dachten wir.
Und bevor noch mehr Hamster nackt durchs Leben laufen müssen, ließen wir alle unangenehm gewordenen Anhemlichkeiten des alten Lebens hinter uns.
Eingerichtet im neuen mussten wir schnell feststellen, dass sich alles nicht so ganz fügen wollte. "Ich kann mich hier nur von Außen beobachten", klagte der Igel irgendwann. Er hatte recht. Nichts passierte weil es eben so passiert. Als gäbe es einen Katalog von Dingen, die man machen muss wenn man ausgezogen ist. Aber nichts, oder nur wenig, davon möchte man wirklich. Deswegen wollen sich die Lebensschnippsel auch nicht fügen. Ihnen fehlt die Verbindung, die Begründung ihrer Existenz.
"Dann muss noch mehr sein", sagte Igel. Also Reisen. Noch mehr Platz, noch mehr Neues.
In der vierten bereisten Stadt, es war eine mit niedlichem Akzent aber eher abschreckend massigen Bewohnern, verließ mich plötzlich die Lust am Erkunden. Die Welt will sich nicht erobern lassen oder wurde es schon längst. Da macht es keinen Unterschied in welcher Stadt, in welchem Land ich einen Fuß vor die Tür setze. Es sind schon längst andere da. Was bleibt ist die Anstrengung zwei Milimeter zu finden, die noch keiner vor einem gefunden hat und diese dann mit möglichst Extravagantem zu füllen. Dazu ständig in die Fremde. In fremden Clubs, auf fremden Partys mit fremden Leuten über fremde Dinge reden. Dabei nie entspannung finden weil alles andere absichtlich hinter dir ist.
Jetzt sitze ich hier. Im Hotel. Sollte sich eigentlich fremd anfühlen. Tut es auch - aber nicht fremder als meine Wohnung. Fernseher, Computer, Bett. Alles vorhanden und fast noch ein wennig besser. Tut hier doch zumindest jemand so als wäre er um mein Wohl besorgt. Zwar gekaufte Sorge aber das vergisst man so schnell. Ist das Geld wert.
Vielleicht sollten ich und der Igel hier einziehen. Man könnte gut Freund werden mit Personal. Das dann kein Personla mehr wäre. Fragen, ob man zufrieden ist, ob man Hunger hat, ob Wäsche da ist. Am besten dieses kleine Zimmer nie wieder verlassen. Nur um Bücher und Musik zu kaufen. Das könnte aber auch der Igel machen...
Igel hielt das alles für Quatsch (und wollte außerdem für sich selbst Bücher und Musik kaufen). Er schnappte mich und zerrte mich in den nächsten Zug.
Schweigend saßen wir nebeneinander und schauten eine Gruppe Rentner an.
Alte menschen, die eine besondere art Zufriedenheit austrahlen. Die sicher auf dem Weg in beheizte und hagliche Wohnungen waren. Die aufgrund ihres Alters, natürlich erst große Angst vor der Rente und dem unnütz sein und der entsetzlichen Langeweile und sozialem Abseits, erkannt haben wie angenehm das Leben sein kann.
Wie unwesentlich der Ort ist, an dem man wohnt oder was man macht. Nirgends ist es spannender oder gar unterhaltsamer als anderswo. Ausflüge am Wochenende mit Leuten, die man kennt. In Städte, die nicht zu weit weg damit es nicht zu fremd wird. Fremde ist anstrengend und braucht teure Hotelzimmer, die heimat nachahmen. Früher erschienen diese Städte langweilig weil man sich gar nicht erst die Mühe machen wollte. Ist doch eh nicht so toll wie in....sagt jeder, äfft jeder nach, glaubt jeder. Hier gibt's doch nichts. Gleiche Umgebung, gleiche Menschen.
Da hatte man nur noch nicht erkannt, dass es anderswo nichts Besseres sondern nur mehr gibt.
Nach dem ich für eine Weile fast schon meditativ in den faltigen Gesichtern versunken war schaute ich neben mich. Igel war weg. Ausgestiegen und am Schalter für ein Rückfahrticket.

Mittwoch, 10. September 2008

Über das Reisen

Ich mag das Reisen nicht. Oder nein, das ist falsch formuliert. Schließlich ist gegen das Reisen an sich nichts einzuwenden. Es bildet und erweitert Horizonte (sagt man auch über Drogen - und denen soll man bekanntlich keine Macht geben...komisch). Außerdem soll man froh sein, dass man überhaupt darf. Alles richtig.
Ich mag die Umstände nicht, die das Reisen mit sich bringt. Das wäre die bessere Formulierung.
Das basiert zum Großteil auf meiner Unfähigkeit zwei Tage in Voraus zu planen. Wie soll ich da erst einen 3 Wöchigen Urlaub organisieren?
"Kein Problem!", höre ich andere Sagen. Rucksack auf, dieverse Klamotten rein und los gehts. Wohin ist egal.
Das mag für die weltgewandten, extrovertierten, grundlegend positiv eingestellten "Entdecker" dieses Planeten die Voraussetzung für einen Traumurlaub sein - für mich führt diese Art der Urlaubsplanung jedoch direkt in die Hölle.
Die besteht meist aus einem 8-Bett Zimmer irgendwo in einem Land, in dem keiner deine Sprache spricht. Anstelle von Entspannung nach einer zehn stündigen Reise findet man hier Schweißgeruch, Bettwäsche, die nicht mal so tut als wäre sie frisch gewaschen, gezwungene Gesellschaft. Unbehagen in reinform.
Statt sich von den Strapazen der Anreise sowie der seelischen Belastung, die bei mir durch das Verlassen der gewohnten Umgebung hervorgerufen wird, erholen zu können gibt es hier nur noch mehr was einem das letzte Bischen Energie raubt. Flucht nach vorne ist nicht möglich. Da ist nur eine fremde Stadt, in der man untergeht weil sie einen überhaupt nicht haben wollte. Das lässt sie dich spüren. Oder zumindest glaubt man das weil durchgehende Kopfschmerzen wohl eher zu fatalistischen Situationseinschätzungen führen.
Der Igel erzählte mir erst kürzlich von einer Skandinavienrundreise, die er allein bestreiten wollte (wir kannten uns damals noch nicht).
Der Spaß begann in Trontheim. Drei Tage waren für diese Station vorgesehen. Und weil die Norweger durch den vielen Black Metal alle den Bezug zur Realität verloren haben, konnte er sich nur die Unterbringung in einer Jugendherberge leisten. Selbst die kostete gefühlte 3000 € pro Nacht. Dafür gab es Aussicht auf das Klärwerk. Aber egal - er war ja schließlich nicht hier um aus dem Fenster zu schauen.
Grundoptimistisch, wie er in seiner Jugend war, ließ sich Igel nicht beirren und stürzte sich in das Nachtleben. Ohne zu wissen, dass die Trontheimer weder von Nacht noch Leben besonders viel halten. Von der Kombination ganz zu schweigen.
So strich er also durch die ruhigen Gassen. Vorbei an Speiselokalen mit immer mindestens zwei Lebewesen an einem Tisch, die nur kurz aufsehen um Allein-Speißende mitleidig zu mustern (dabei fühlen sie sich unschön an die trübe Zeit erinnert in der sie allein vor und in lokalen waren und deswegen eine Anonce aufgeben haben nur um auf jemandes gefüllten Teller starren zu können).
Also zog er weiter in eine Bar. Doch selbst die wirkte hier merkwürdig aufgeräumt. Sowohl das Interieur als auch die Organismen dazwischen. Das hatte er nich erwartet. Er meinte, er müsse wohl sehr verdutzt ausgesehen haben so wie ihn die Leute anstarrten.
Oder es schickt sich in Trontheim einfach nicht als Igel allein in eine Bar zu gehen.
Jedenfalls zog er sich, um weitere befremdung zu vermeiden, in die Jugenherberge zurück. 20 Uhr, ein - in diesem speziellen fall natürlich leeres - 8-Bett Zimmer, 3000 € die Nacht. Und noch so viele Tage vor sich.
Am nächsten morgen besorgte er sich ein Ticket zurück.
Dazu führte jedoch weniger die Tatsache des allein seins als schlichtweg das Gefühl irgendwie unaufgeräumt zu sein. Ein kleiner Punkt irgendwo außerhalb des Gewohnten. Ohne Sinn.
Da kommt das Heimweh. Nicht nach einem Ort. Sondern nach bekannten Gesichtern, deinem Bett, deinen CDs. Der selbstgesuchten Aufgabe im eigenen kleinen Universum.
Und doch vielleicht auch ein klein wenig nach Berlin.